Die in Genf lebende Mai-Thu Perret (*1976) bezieht sich in der Ausstellung «Land of Crystal» auf die Formensprachen, künstlerischen Praktiken und Lebensentwürfe der Moderne. Sie nähert sich dieser einerseits über Zitate oder Anspielungen an, andererseits verwebt die Künstlerin ihre Werke in eine übergreifende Erzählung. Sie spürt dadurch erhabenen Kunstidealen nach und ruft mit ihrem Aneignungsverfahren eine Kunsthandwerk-Ästhetik hervor, die teilweise von einem Hauch Esoterik begleitet wird. Oftmals ergibt sich aus dieser Arbeitsweise ein verspielter, teilweise ein ironischer Blick auf die Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts.
Im ersten Raum begegnet das Publikum der grasgrünen und mit anthrazitfarbenen Rhomben versehenen Skulptur We (2007). Die begehbare Spirale lehnt sich thematisch und motivisch an Labyrinth-Ornamente an, die in mittelalterlichen Kirchen oder frühgeschichtlichen Sakralbauten der Kontemplation dienten. Farbe und Form dieses Gebildes, welches die linke Raumhälfte durch seine Dominanz in Beschlag nimmt, erinnern an Mode und Design der 60-Jahre, aber auch an die Minimal und Op-Art. So ist die Spiralenskulptur durchaus als eine Einladung zu verstehen, Raum, Objekt sowie das eigene Subjekt auf den Prüfstand zu stellen.
An der gegenüberliegenden Wand hängen verschiedenartige Gouache-Malereien in einer horizontalen Reihe. Die Bilder tragen allesamt keine Titel und erinnern an abstrakte oder konkrete Kunst. Perret folgt bei der Herstellung dieser „klassischen“ Malereien keinen kunsttheoretischen Überlegungen oder strengen formalistischen Konzepten, sondern arbeitet Archetypen von Formen heraus. Man könnte bei diesem Beieinander durchaus einen kunsthistorischen Widerspruch provozieren, indem man die Gemäldeansammlung als die Formulierung einer Ikonographie der Abstraktion bezeichnet. Dieses Aneignen und Zitieren von Motiven, Formen und Farben stellt einen zentralen Bestandteil der künstlerischen Arbeit Perrets dar, die im ersten Ausstellungsraum konzentriert aufgeführt wird. Die beiden Wandteppiche unterstreichen ihre Affinität, mit Formaten und Materialien zu experimentieren und Überlegungen zur Bildproduktion anzustellen. In ihrer Grösse gebieten die Teppiche eine majestätische Präsenz, obwohl das Bildmotiv auf eine ihrer kleinformatigen Malereien zurückgeht, und die Ei-ähnlichen Gebilde verführen den Betrachter zu vielfältigen Spekulationen.
Die Grundstruktur der Neon-Zeichnung Harmonium (2007) im zweiten Raum lehnt an ein Werk der Künstlerin und Anthroposophin Hilma af Klimt an, die in ihren Werken der Spiritualität und dem Okkulten nachspürte. Hier wird der Bruch mit der Geometrie besonders deutlich, wenn Perret die organische Form, welche van Klimts Zeichnung nachempfunden wurde, mittels Licht auflädt und im Raum eine auratische Stimmung erzeugt. Die ausgestellten Siebdrucke wiederum, sind Texte, die einen erzählerischen Rahmen für die Ausstellung bilden. No More City (2006) zeigt einen Tagebucheintrag einer Künstlerin, die der virtuellen Künstlergemeinschaft _The Crystal Frontier_entstammt. Darinwerden künstlerische Praktiken und Lebensmodelle von einer Frauengemeinschaft erprobt. Die Protagonistinnen dieser virtuellen Gemeinschaft treten in Ausstellungen von Perret auf, um Fragen der Autorschaft oder des Utopismus – zentrale Themen der künstlerischen Moderne – zu thematisieren. Auf der Wand links ist ein Briefauszug von Alexander Rodtschenko mit dem Titel Letter Home (After A.R.) (2006) zu sehen, in welchem sich der russische Konstruktivist über das Leben in Paris beklagt. Dieser Brief wurde von Perret aus Briefen Rodtschenkos pasticheartig zusammengestellt, ähnlich wie für die Videoinstallation An Evening of the Book (2007) im dritten Raum. Die Idee für diese Arbeit entstammt einem Agitprop-Stück von Warwara Stepanova, der Frau des russischen Konstruktivisten. Das Bühnenwerk ist den historischen und gesellschaftlichen Umständen des damaligen Russland geschuldet und bezieht sich auf die Aufgabe der Literatur und anderen Künsten in der revolutionären Umbruchzeit. In der Arbeit werden Buchstaben zu Schauspielern, gleichzeitig wird aber auch die Herstellung der Kostüme gezeigt. Der über zwanzig Minuten dauernde Durchlauf der Projektionen wird unterbrochen von einem Musikstück, das von Perrets Freund Steven Parrino komponiert und von ihr mit Text unterlegt wurde. Die Wände wurden mit einer Tapete versehen, deren dreieckige Musterung sektiererische und mystische Symboliken erweckt. An Evening of the Book erzeugt durch die Vermischung von historischen und fiktionalen Elementen ein Gefühl, das die Aufbruchstimmung künstlerischer Avantgarden widerspiegelt. Gleichzeitig wird aber auch klar, wie dogmatisch die Absichten der Moderne-Utopien verstanden werden können.
Die Ausstellung wurde ermöglicht durch Pro Helvetia, Gessner AG, Seidenstoffweberei, Wädenswil, MÄSER digital media GmbH, Dornbirn. Speziellen Dank an Herrn Andrea Carratsch, Zürich.